Trauerreden, Teil 2

Die zweite Trauerrede zur Trauerfeier unserer Mutter stammt von meiner Schwester Betül und von mir. Im ersten Absatz beziehen wir uns dabei auf das Lied „Radio Gaga“, das zwischen den Trauerrede von Gert Hager und unserer Trauerrede eingespielt wurde

Trauerrede von Besim und Betül Karadeniz

Zum gerade gehörten Lied sollten wir vielleicht noch nachschieben, dass unsere Mutter zu Queen und besonders zur Person Freddy Mercury immer eine besondere Beziehung hatte. Mercury, auch Kind eines Gastarbeiters, hatte sich alles in seinem Leben selbst erarbeitet. Unsere Mutter meinte einmal, dass Mercury jemand sei, mit dem sie gerne Kaffee trinken würde – trotz der mutmaßlichen Sprachbarriere.

Dazu besteht ja nun Gelegenheit.

Sie merken, es geht nicht ganz so traurig in diesem Nachruf zu, den ich zusammen mit meiner Schwester Betül geschrieben habe. Dazu war unsere Mutter ein viel zu fröhlicher, lebensbejahender Mensch, der wenig Zeit damit vergeudete, schlechte Laune zu haben.

Wir möchten uns herzlich dafür bedanken, dass Sie gekommen sind und möchten auf drei Aspekte im Leben unserer Mutter eingehen, die für ihre Mitmenschen sicht- und hörbar waren.

Das eine ist die Sprache. Wir haben schon lange den Überblick darüber verloren, wie oft wir zu hören bekamen, wie gut unsere Mutter Deutsch spricht. Das ging so weit, dass viele glaubten, meine Mutter sei die deutsche Frau meines Vaters. Tatsächlich hat sich unsere Mutter die deutsche Sprache nach ihrer Ankunft in Deutschland weitgehend autodidaktisch im Alltag angeeignet. Wir fanden das Arbeitszeugnis meiner Mutter aus dem Jahr 1971 kürzlich in den Familienunterlagen und staunten, dass sie schon nach etwas über einem Jahr Beschäftigung zur Versandleiterin eines Teams von 10 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aufstieg. Wohlgemerkt: Da war sie gerade einmal zwei Jahre in Deutschland!

Alles steht und fällt mit der Sprache, das war bei uns immer Konsens. Unsere Mutter achtete darauf, dass auch zu Hause Deutsch gesprochen wurde, oft ein wenig zum Leidwesen meines Vaters, der dann der “Ausländer” war. Die Beherrschung der deutschen Sprache war und ist aber der Schlüssel zu allem, was unsere Mutter sich und später wir Kinder uns aufgebaut haben.

Erst viele Jahre später merkte ich, wie schwer es andere ausländische Familien hatten und haben, deren Elternteile nicht gut Deutsch sprechen. Eine Sprachbarriere im Urlaub ist schon ein großes Hindernis, aber in einem fremden Land bleibst du ohne praktische Kenntnisse der dortigen Sprache fremd. So wie wir Kinder uns auch oft schwer taten, wenn wir in der Türkei waren und unsere Verwandten vor Ort staunten, wie schlecht wir für “heimische Verhältnisse” Türkisch sprachen.

Ein weiterer Aspekt aus dem Leben unserer Mutter ist ihr größtes Hobby, das Handarbeiten. Schon als junge Frau war sie in der Türkei stolze Trägerin eines Zertifikats, das ihr eine Lehre mit einer elektrischen Nähmaschine bescheinigte – die sie noch gar nicht besaß. Spätestens ab da zog sich das Handarbeiten dann durch ihr und unser Leben.

Sie dürfen sich das jetzt nicht so vorstellen, dass neben dem Sessel ein Strickkörbchen steht, aus dem in unregelmäßigen Abständen das Strickzeug gezogen wurde. So ein Körbchen existiert zwar, aber vielmehr hatte unsere Mutter Dutzende Kisten und Schachteln, in denen sorgsam jeweils eine komplette Arbeitsumgebung eingebettet war. Und handgearbeitet wurde eigentlich in jeder freien Minute.

Beispielsweise in Sachen Patchwork. Neben Stoffstücken und den einzunähenden Stützen waren in so einer Schachtel auch das gesamte Kleinmaterial und das nötige Werkzeug, so dass diese Schachtel bequem zu Besuchen mitgenommen werden konnte. Als ich 2012 für zwei Wochen in Berlin im Krankenhaus lag und unsere Mutter so eine Schachtel mit zu ihrem Besuch brachte, siegte irgendwann die Neugier meines behandelnden Arztes und er fragte sie, was sie denn da die ganze Zeit mache. Und schon war die Visite für mich beendet.

In Sachen Repertoire gab es kaum etwas, was sie nicht ausprobierte. Ob nun Stricken, Häkeln, Sticken, Nähen, Knüpfen, Weben, Basteln und vieles andere … Gefühlt in allem war unsere Mutter kundig und gab dieses Wissen auch sehr gern an uns weiter – und auch an viele andere Menschen, die häufig auf diese Weise ihre Liebe zur Handarbeit entdeckten. Unvergessen auch ihre Mitarbeit im Kostüme-Schneidern beim Amateurtheaterverein des Kulturhauses Osterfeld, mit der sie sich buchstäblich in viele Herzen handarbeitete.

Und auch in Sachen Format konnte es unsere Mutter mit allem aufnehmen: Im Patchworking waren Einzelteile oftmals kleiner als ein Zentimeter, sodass ich beim Drucken von millimetergenauen Vorlagen von Sechsecken, die sie dann zu Hunderten sorgsam umnähte, meine liebe Mühe hatte. Zusammengenäht nahmen die Bilder dann wandgemäldeartige Größen an.

Beim Stricken einer Überdecke für das Ehebett, schön mit einzelnen Lappen, die dann zusammengenäht wurden, übertraf sie die übliche Deckengröße von zwei Quadratmetern gleich um das Zweieinhalbfache. Und solche Decken haben wir zu Hause mehrere, in verschiedensten Farben und Formen. Die eine Decke, die bei einem Umzug verloren gegangen war, wärmt sicher auch heute noch jemanden außerhalb unserer Familie zuverlässig.

Dritter und letzter Aspekt unseres Nachrufes ist ihrer Geselligkeit gewidmet. Wie oft hören wir in den letzten Tagen, dass man sich das letzte Mal in der Stadt getroffen und gleich daraufhin gemeinsam einen Kaffee getrunken habe. Nun ist der Kaffeekonsum in unserem Haus wirklich nicht gerade klein, aber zu den etlichen Kilogramm Kaffee kamen also offenbar noch einige dazu. Meine Mutter konnte das, was man üblicherweise “Vibrations” nennt – eine Herzlichkeit verbreiten, die im Gedächtnis bleibt. Selbstverständlich gab es auch ernste Momente, aber warum die gemeinsame Zeit mit anderen Menschen mit schlechter Laune vergeuden?

Vielleicht sollten wir vor allem das noch stärker verinnerlichen.

Nochmals vielen Dank Ihnen allen, auch im Namen unserer Familie.